Gartenvögel - Unterschiedliche „Tischmanieren“ am Futterplatz
von Prof. Dr. Martin Kraft
MIO – Marburger Institut für Ornithologie und Ökologie e.V.
Seit meiner Kindheit beobachte ich Vögel am Futterplatz. Schon mit 11 Jahren verfasste ich meinen ersten Beobachtungsbericht mit bunten Zeichnungen von verschiedenen Vogelarten am winterlichen Futterhäuschen in meinem Heimatort Niederwalgern (Mittelhessen) für die Schule. Meine Klassenlehrerin bewertete diesen ersten „Forschungsbericht“ mit „ausgezeichnet“, also der Note 1 mit Sternchen! Das machte mich damals sehr glücklich, aber ich konnte noch nicht ahnen, dass das Verhalten von Vögeln in Abhängigkeit von ganzjähriger Zusatzfütterung zu meinen hauptsächlichen Forschungsarbeiten innerhalb meines Biologiestudiums an der Philipps-Universität in Marburg werden sollte! Es ist für mich immer noch erstaunlich, was man alles beim Beobachten von Vögeln an winterlichen oder ganzjährig bestückten Futterplätzen lernen kann. Und auch heute noch erlebe ich so manche Überraschung. Je vielfältiger das dargereichte Futter ist, desto mehr verschiedene Vogelarten nehmen es auf, wobei sich immer auch völlig unterschiedliche „Tischmanieren“ ergeben. Diese äußern sich in der Nahrungsaufnahme, aber auch im Verhalten. Zunächst einmal ist es so, dass bei gut besuchten Futterplätzen immer die größeren Arten vor den kleineren zum Fressen kommen. Während meiner Langzeitstudien auf den Marburger Lahnbergen und an den Martinsweihern bei Niederwalgern konnte ich nachweisen, dass dann interspezifische (zwischenartliche), aber auch intraspezifische (innerartliche) Rangordnungshierarchien entstanden, die es ermöglichten, dass jedes Individuum letztlich zur Nahrungsaufnahme kam. Aufgrund der Verhaltensweisen errechnete ich verschiedene Rangordnungsindizes, die zumeist (nicht immer) zu Gunsten alter und starker Männchen ausfielen. Je mehr Futter aber gleichzeitig zur Verfügung stand, desto geringer waren die allgemeinen Aggressionshandlungen. Insgesamt zeigt sich eine Fülle verschiedener Arten mit unterschiedlichen „Tischmanieren“. An den Martinsweihern sind regelmäßig auch Nilgänse, Stockenten (manchmal auch andere Entenarten), Rebhühner, Bläss- und Teichhühner sowie Ringeltauben am Boden zu finden, wie sie Reste von Körner- und Fettfutter vertilgen.
Dabei kommt es oft zu regelrechten Ansammlungen von Vögeln unter den Futterhäuschen. Oft gesellen sich auch Elstern, Eichelhäher, Dohlen, Rabenkrähen, Amseln, Wacholderdrosseln, Rotkehlchen, Stare, Heckenbraunellen, Feld- und Haussperlinge, Buch- und Grünfinken, Bluthänflinge, Erlenzeisige und Goldammern dazu, aber diese Arten fliegen auch in die Futterhäuschen, um Nahrung aufzunehmen. Dabei halten sie sich oft sehr lange im Futterhaus auf und putzen alles weg!
Dadurch steigt natürlich der tägliche Futterverbrauch stark an und ich muss immer wieder nachlegen. Aufgehängtes Fettfutter wird oft von Buntspechten, Staren, Meisen, Schwanzmeisen und Feldsperlingen angeflogen. Auch dabei kommt es - vor allem bei Staren und Feldsperlingen – zu regelrechten Massenansammlungen. Je mehr Meisenknödel oder Energiekuchen vorhanden sind, umso größer ist die Möglichkeit der gleichzeitigen Nahrungsaufnahme ohne auffälliges Zetern! Doch nicht selten geht es richtig heiß her, aber letztlich können sich alle satt fressen, weil ich immer genügend anbiete. An diesem aufgehängten Fettfutter lassen sich aber nicht nur interessante Beobachtungen, sondern auch gute Fotos machen. In den Futterhäuschen selbst tut sich aber auch immer einiges: Während bei meinen Studien auf den Marburger Lahnbergen vor allem Grünfinken in großer Zahl vorkamen, sind an den Martinsweihern bei Niederwalgern bis zu 40 und mehr Feldsperlinge gleichzeitig zu sehen, wie sie emsig Sonnenblumenkerne und anderes Körnerfutter verzehren. Dabei werfen sie auch immer Körner raus, welches dann am Boden von vielen Arten (siehe
oben) aufgenommen wird. Da fällt es den Blau-, Kohl-, Sumpf- und Weidenmeisen schwer, eine Lücke zu finden, um ein Körnchen zu ergattern, das sie dann zumeist auf Ästen der Bäume und Büsche in der Umgebung aufhacken. Da sie fast immer nur einen Sonnenblumenkern aufnehmen, fliegen sie am Tage viele Male hin und her.
Die großen Ansammlungen von Vögeln locken aber auch Beutegreifer wie Habichte, Sperber und Turmfalken an, wobei die Sperber am häufigsten erscheinen und auch am erfolgreichsten sind.
Futterplätze schaffen demnach ideale Bedingungen, um nicht nur die unterschiedlichen „Tischmanieren“, sondern auch viele interessante Verhaltensweisen zu studieren!